Schule nach dem Corona-Lockdown: Tipps für Lehrerinnen und Lehrer
Die Corona-Pandemie mit Ausgangsbeschränkungen, der Schließung von Schulen, Universitäten und vielen Geschäften sowie der Aufforderung nach physischer Distanz, um die Ausbreitung des Virus in Grenzen zu halten, hat unser Leben und unseren Alltag dramatisch verändert. Die Schulen werden wohl noch einige Wochen geschlossen bleiben. Umso wichtiger ist es, sich schon jetzt Gedanken über die Zeit nach der Wiederöffnung zu machen. Der Bildungswissenschafter Stefan Hopmann meinte vor einigen Tagen in einem Radiointerview (Ö1 Morgenjournal vom 1.4.2020), viel wichtiger als das Nachholen des Lernstoffes oder als Leistungsforderungen werde der Fokus auf das emotionale Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen sein; es bräuchte Raum für das Ankommen in der Schule, für das Wiederaufbauen von Vertrauen und für die Aufarbeitung der Zeit in der familiären Isolation.
Stress und psychische Belastung bei Kindern und Jugendlichen
Die Pandemie und ihre Folgen sind für alle Menschen belastend, auch für Kinder und Jugendliche. Untersuchungen der Uni Wien, Fakultät für Sozialwissenschaften, zeigen, dass etwa 20% der Kinder in Österreich in beengten Wohnverhältnissen leben. In rund einem Viertel der Familien hat die Konflikthäufigkeit zugenommen, für ein Drittel stellt die Kinderbetreuung eine Herausforderung dar; besonders betroffen sind Alleinerziehende mit zwei oder mehr Kindern. Der Bedarf an psychosozialer Unterstützung zeigt sich auch in der vermehrten Nutzung von Beratungseinrichtungen: 147 Rat auf Draht, die Beratungshotline für Kinder und Jugendliche, verzeichnet seit Beginn der Corona-Krise um 30 % mehr Anrufe.
Erwachsene sollten sich bewusst sein, dass Kinder und Jugendliche belastende Ereignisse anders wahrnehmen. Während Erwachsene in der Regel um die eigene Gesundheit und die ihrer Kinder fürchten, ängstigen sich Kinder eher vor einer Trennung von den Eltern oder nahen Bezugspersonen; sie sorgen sich um ein geliebtes Haustier oder fürchten den Verlust von Dingen, an denen sie hängen. Für Jugendliche ist der Verlust der Peergroup, ihrer Freundinnen und Freunde besonders belastend. Auch das Wegfallen von gewohnten Tagesstrukturen und Routinen wirft Heranwachsende leichter aus der Bahn als Erwachsene.
Die allermeisten Kinder und Jugendliche werden mit belastenden Ereignissen sehr gut fertig und zeigen, wenn überhaupt, nur vorübergehende Belastungsreaktionen. Es gibt aber auch Kinder und Jugendliche, die für die Verarbeitung länger brauchen oder sogar mit längerfristigen psychischen Problemen zu kämpfen haben. Das sind sehr häufig Heranwachsende, die schon zuvor schlimme Erfahrung gemacht haben, die aus den verschiedensten Gründen wenig psychosoziale Unterstützung von ihren Angehörigen bekommen oder die von der aktuellen Krise besonders betroffen sind. In Familien, die ohnehin schon ungünstige Beziehungsmuster aufweisen, kann die erzwungene räumliche Nähe während des Lockdowns zu Eskalationen führen, die ganz besonders die Kinder enorm belasten. Auch schwere Erkrankungen an COVID-19 im Familien- oder Bekanntenkreis oder in Einzelfällen sogar der Tod einer nahestehenden Person sind Risikofaktoren für die Entwicklung längerfristiger psychosozialer Störungen.
Welche Belastungsreaktionen zeigen Kinder und Jugendliche
Kinder und Jugendliche reagieren sehr unterschiedlich auf belastende Ereignisse und es lässt sich schwer vorhersagen, wie die Reaktion bei einzelnen aussehen wird. Die meisten Kinder und Jugendlichen haben ein großes Bedürfnis, über das Ereignis zu reden; sie stellen viele Fragen und möchten wissen, wie es in Zukunft weiter gehen wird. Einige ziehen sich eher zurück und vermeiden es, über das Ereignis und ihre Gefühle zu sprechen. Manche sind reizbar, übererregt oder sie sind übermäßig anhänglich und trennen sich nur ungern von ihren Bezugspersonen. Häufige Symptome sind auch Konzentrationsschwächen, Schlafprobleme und schlechte Träume oder – vor allem bei den jüngeren – physische Probleme wie Bauchweh und Kopfschmerzen.
Jugendliche neigen eher zu Vermeidungsverhalten und Rückzug. Manche entwickeln ungünstige Bewältigungsstrategien, zum Beispiel Rauchen und vermehrter Alkoholkonsum, um damit unangenehme Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit und Einsamkeit fernzuhalten; manche reagieren auf Stress und Belastungen auch mit leichtsinnigem und riskantem Verhalten („Corona-Partys“).
Wie Lehrerinnen und Lehrer emotionales Wohlbefinden fördern können
Auch wenn Schule und Unterricht nach der Zeit des Lockdown anders ablaufen werden als vorher, so gibt die Wiederöffnung den Kindern und Jugendlichen doch ein Stück Normalität zurück; die gewohnten Strukturen und Abläufe in der Schule geben ihnen Halt und vermindern dadurch Stress. Lehrkräfte können Kindern und Jugendlichen bei der Verarbeitung von schwierigen Situationen helfen und ihnen die Rückkehr zur Normalität erleichtern. Viele Lehrerinnen und Lehrer wissen aus langjähriger Erfahrung oder intuitiv, was ihre Schülerinnen und Schüler nach der langen, ungeplanten Pause an Zuwendung und Aufarbeitung brauchen und wie sie ihnen bei der Verarbeitung der schwierigen Situation helfen können. Jedoch nicht alle fühlen sich pädagogisch ausreichend gerüstet. Wir haben im folgenden einige Tipps und Ressourcen zusammengefasst, um Lehrerinnen und Lehrer zu unterstützen.
Sprechen Sie mit der Klasse
Nach der wochenlangen Phase der Isolation werden die meisten Schülerinnen und Schüler ein starkes Bedürfnis haben, über über ihre Erlebnisse und Erfahrungen in dieser Zeit zu reden – mit ihren Freunden und Freundinnen, die sie lange nicht gesehen haben, aber auch mit den Lehrerinnen und Lehrern. Gespräche in der Klasse helfen den Kindern und Jugendlichen beim Ankommen in der Schule und zeigen Ihnen, wo die Klasse und die einzelnen Schülerinnen und Schüler stehen.
Tipps für Gespräche in der Klasse:
- Die meisten Schülerinnen und Schüler möchten wahrscheinlich über das Coronavirus und ihre Zeit in der häuslichen Isolation erzählen. Geben Sie ihnen die Zeit dafür! Damit das Thema nicht zu dominierend wird und auch noch Zeit für den regulären Unterricht bleibt, sollten Sie einige Regeln für die Gespräche aufstellen und z.B. einen fixen Zeitpunkt, etwa zu Beginn der Unterrichtsstunde, und die Dauer dafür festlegen.
- Wenn das Mitteilungsbedürfnis der Kinder sehr groß ist, fordern Sie sie auf, ihre Erfahrungen und Erlebnisse auch in Bildern darzustellen oder eine Geschichte dazu zu schreiben.
- Achten Sie darauf, dass die Gespräche nicht in eine negative Richtung gehen, die Angst machen könnte. Zeigen Sie Zuversicht, dass das Schlimmste überstanden ist, und vermitteln Sie eine positive Sicht auf die Zukunft.
- Wenn es für Sie passt, sprechen Sie mit den Schülerinnen und Schülern über Ihren eigenen Erfahrungen und Erlebnisse. Vergessen Sie dabei aber Ihre Rolle als Lehrerin, als Lehrer nicht: Erzählen Sie auch, wie Sie gut mit dem Stress umgegangen sind und positive Lösungen für Probleme gefunden haben. Ihr eigener Umgang mit Belastungen und Herausforderungen hat immer auch ein bisschen Vorbildwirkung.
- Laden Sie die Kinder ein darüber zu sprechen, wie sich die Ereignisse der letzten Wochen und die Zeit des Daheim-Lernens auf sie selbst und ihre Familie ausgewirkt haben, was sich vielleicht verändert hat. Legen Sie dabei den Fokus auf Positives, auf die neu entdeckten Stärken und Ressourcen und neu entwickelte Bewältigungsstrategien.
- Die Teilnahme am Gespräch ist immer absolut freiwillig! Wer nichts sagen möchte, muss das auch nicht tun.
Schaffen Sie Klarheit
Sagen Sie den Schülerinnen und Schülern, wie es in der nächsten Zeit in den Schule weitergehen wird, wie mit den ausgefallenen Tests und Schularbeiten verfahren wird und wie die Benotungen am Ende des Schuljahres zustande kommen werden. Machen Sie klar, dass die Ausnahmesituation vorüber ist und jetzt wieder – so weit wie möglich – Normalität einkehrt. Das bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler wieder wie gewohnt die Aufgaben in der Schule und die Hausübungen erledigen. Vielleicht fällt es manchen nach der langen Unterrichtspause schwer, sich wieder an konzentriertes Arbeiten zu gewöhnen. Es kann notwendig und hilfreich sein, für eine Weile die Dauer der Arbeitseinheiten zu verkürzen und zwischendurch mehr Bewegungspausen einzuschieben.
Konzentrieren Sie sich auf Stärken und auf Positives
Vielen Familien stehen auch nach der Wiederöffnung der Schulen schwere Zeiten bevor; möglicherweise haben Eltern ihren Arbeitsplatz verloren oder sind aus anderen Gründen in wirtschaftliche Not geraten; vielleicht hat es in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen familiäre Konflikte und Probleme gegeben. Umso wichtiger ist es, positive Dinge hervorzuheben. Loben Sie die Schülerinnen und Schüler für alles, was sie gut machen; sprechen Sie mit ihnen über ihre Stärken und würdigen Sie ihre positiven Bewältigungsstrategien. Lob sollte ehrlich und möglichst konkret sein: Zeigen oder sagen Sie den Schülerinnen und Schüler, was sie gut gemacht haben und welches Verhalten Sie schätzen.
Vergessen Sie nicht auf Ihr eigenes Wohlbefinden
Die Zeit der Schulschließungen war auch für Sie als die Lehrerin, als Lehrer nicht einfach. Sie mussten sich in kürzester Zeit auf das Lehren und Lernen aus der Distanz umstellen, Arbeitsaufträge für ihre Schülerinnen und Schüler ausarbeiten, sich in digitale Tools einarbeiten und sich um regelmäßigen Kontakt zu Eltern und Schülerinnen, Schülern bemühen. Das alles musste in einer Zeit großer Unsicherheit und Sorge um die eigene Gesundheit und die nahestehender Menschen geschehen. Achten Sie daher auch auf Stresssymptome bei sich selbst und nützen Sie wenn nötig stressreduzierende Techniken. Achten Sie auf eine gesunde Lebensweise mit regelmäßiger Bewegung an der frischen Luft und ausreichend Schlaf. Und holen Sie sich Unterstützung, wenn es notwendig ist.
Ressourcen & Literaturtipps
Schulpsychologie – Beratungsangebote
http://www.schulpsychologie.at/psychologische-gesundheitsfoerderung/corona
147 Rat auf Draht – Telefon- und Onlineberatung für Kinder und Jugendliche:
https://www.rataufdraht.at/
ARGE Suchtprävention: Wiedereinstiegsmodul nach der Corona-Krise. plus-Präventionsprogramm. (PDF)
Gemeinsam stark werden: Impulse zur Unterrichts- und Beziehungsgestaltung für die Volksschule nach dem Corona-Lockdown (PDF)
GIVE (2018): Gute Beziehungen in der Schule.
GIVE (2019): Weniger Stress in der Schule.
Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs (2020): SchülerInnen positiv motivieren und emotional begleiten. (PDF)
Kinder- und Jugendanwaltschaft Kärnten (2020): Wie kann man Kindern im Umgang mit dem Virus helfen? (PDF)
Bildungsdirektion Steiermark – Schulpsychologie & Schulärztlicher Dienst (2019): Was tun …? Handlungsleitfaden für Pädagoginnen und Pädagogen. (PDF)
UNHCR (2016): Flucht und Trauma im Kontext Schule. Ein Handbuch für PädagogInnen. (PDF)
Weitere verwendete Literatur:
Elia, J: Akute und posttraumatische Belastungsstörungen (ASD und PTSD) bei Kindern und Jugendlichen. MSD Manual. (8.4.2020)
Faust, V.: Naturkatastrophen und seelische Folgen. Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang. (8.4.2020)
Kenardy, De Young, Le Brocque & Marc (2011): Childhood Trauma Reaction: A Guide for Teachers from Preschool to Year 12. CONROD, University of Queensland.
Le Brocque, R. et al (2017): Schools and Natural Disaster Recovery: The Unique and Vital Role That Teachers and Education Professionals Play in Ensuring the Mental Health of Students Following Natural Disasters
Smoliner, H. (o.J.): Einführung in die Krisenberatung und Krisenbegleitung Teil I. Umgang mit Krisensituationen in der Schule. Schulpsychologie – Bildungsberatung Feldkirchen.
Universität Wien, Fakultät für Sozialwissenschaften (2020): Austrian Corona Panel Project.
www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org (2016): Traumatisches Ereignis: Bei Kindern auf Anzeichen einer Belastungsstörung achten. (8.4.2020)
Weitere Beiträge der Reihe „Schule nach dem Corona-Lockdown“:
Gesundheitsförderung hilft
Auf die Gesundheit von Lehrkräften achten